Dienstag, 18. November 2008

Der Rausch und die Musik

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Vor ein paar Tagen las ich hier einen Beitrag, der mich sehr berührt hat und den ich seither nicht so richtig wieder aus dem Kopf kriege. Weil das Thema schon auch mit mir zu tun hat. Ich habe da öfters darüber nachgedacht, ohne jedoch so richtig damit zum Schluss gekommen zu sein oder gar Konsequenzen gezogen zu haben. Es geht um's Trinken.

Wenn man wie ich auf dem Lande aufgewachsen ist, dann hat man auf alle Fälle folgende Ausrede: Es war nichts los. Kulturell gesehen. Und deshalb machte man Freitag- und Samstagnacht das, was alle machten. Man machte einen drauf. Keine Ahnung, was das damalige Gesetz zum Schutz der Kinder und Jugendlichen der DDR vorschrieb, doch es wird sicher Grenzen aufgezeigt haben. Das hat jedoch niemanden interessiert. Die einzigen Grenzen für meinen allwöchentlichen Rausch setzte mir mein Körper. In den passten lange Zeit nicht mehr als sieben halbe Liter Bier rein, pro Abend. Schnaps , das hatte ich relativ früh erkannt, sorgt für nachhaltige Übelkeit und Kopfschmerzen. Also ließ ich weitestgehend die Finger davon (heute bin ich heilfroh, damals nicht ausprobiert zu haben, wie es ist, wenn man sich nur mit einer Sorte Schnaps betrinkt, ohne Bier).

Bands haben zu meiner Zeit und in meiner Gegend kaum gespielt. Es gab fahrende Diskotheker, die mit eigener PA am Wochenende den örtlichen Saal beschallten. Heute hier, morgen dort. Auch musikalisch mit heute kaum zu vergleichen. Die erste zwei Stunden gab's Tanzmusik für die Mädchenpaare und später dann - oft per Wunsch - härtere Kost ala Zeppelin, Purple, Sabbath. Zu diesem Zeitpunkt war ich dann auf jeden Fall schon gut unterwegs und so gehörte es für mich auch immer zusammen: der Rausch und die Musik. Ich konnte mich fallenlassen, bildlich gesprochen, und ich habe genossen, doppelt. Bis zum Schluss. Dann war ich voll. Oft so voll, dass ich auf dem Nachhauseweg gekotzt habe.

Maßvoll trinken, um die Kontrolle zu behalten, wollte ich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich wollte diesen Flow, um genau in dem Moment abzuheben, wenn die Sologitarre von Lynyrd Skynyrd's "Freebird" einsetzt. Eine Zäsur setzte makabrerweise der Tod von Bon Scott. Ich weiß noch genau, dass ich damals sagte: so voll kann man gar nicht sein, dass man im Schlaf kotzt, ohne dass man aufwacht. Kurze Zeit später ist mir das gleiche passiert. Und ich danke Gott, dass er mich am Leben gelassen hat. Ab da habe ich etwas weniger getrunken. Statt 7 Gläsern nur noch 6. "I'm Gonna Ride On"...

Und so geht das eigentlich bis heute. Wider besseren Wissens. Auf ein Konzert gehen, mit einem Gedanken, nichts trinken zu können, das mache ich nur in Ausnahmefällen. Wenn's denn gar nicht anders geht. Aber selber spielen, ohne Bier auf der Bühne, das geht gar nicht. Auch für's Besäufnis hinterher finde ich immer einen Grund: Entweder war's ein guter Auftritt, dann muss man wieder runterkommen oder war's ein schlechter, dann will man nur vergessen. Das Resultat ist stets dasselbe. Vergessen habe ich überdies eine Menge in den letzten 25 Jahren und das hängt sicher auch mit dem Alk zusammen. Noch reicht's für den Dayjob, wahrscheinlich genügend Ressourcen, doch irgendwann ist Schluss mit lustig. Das ist mir klar.

An dieser Stelle sollten jetzt Erkenntis und Schlussfolgerungen kommen. Doch so weit bin ich noch lange nicht. Weil es mir noch nicht ernst genug damit ist. Weil ich seit langem schon mit meinem Problem kokettiere, was viel viel leichter ist, als es zu vertuschen. Dumm frisst viel, Intelligenz säuft. Jaja... Weil es - anders als beim Rauchen - bis auf ein wenig Kopfweh keine spürbaren Auswirkungen gibt. Weil mir der Leidensdruck fehlt. Weil ich denke, dass ich noch Zeit habe. Wie ein kleiner, dummer Junge...