Dienstag, 16. Dezember 2008

Skysegeljack


Berlin. André Greiner-Pol, Gründer der Band Freygang, ist in der Nacht zum Montag in Berlin völlig überraschend gestorben, wie sein Label Buschfunk gestern mitteilte. Als Todesursache gaben die Ärzte einen Herzinfarkt an. Greiner-Pol gehörte zu den einflussreichsten Musikern und Querdenkern in der Ostberliner Punk-, Blues- und Indieszene.

Meine erste Begegnung mit FREYGANG war im Herbst '86. Ich hatte gerade in Dresden mit dem Studieren angefangen. Neue Leute kennengelernt und begonnen, meinen musikalischen Horizont zu weiten. "Freygang/Zuma/Z.O.P.F." hieß das Package von drei, damals angesagten Bands, die die Freilichtbühne im Großen Garten bespielen sollten. Während die beiden letztgenannten die Neil-Young- und ZZTop-Sehnsüchte der Ostzonalen Fans befriedigten und heute mehr oder weniger vergangen und vergessen sind, eilte FREYGANG der Ruf voraus, kompromisslos und echt zu sein. Bis zu diesem Tage hatte ich wohl schon einige Konzerte - Ostbands freilich - gesehen, doch noch nie eines mit einem derart charismatischem Sänger. Ein räudiger Haudegen mit der Aura einer Diva. Und was für eine coole Stimme! So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Ich war total fasziniert. Vom ersten Moment an hatte er sein Publikum absolut im Griff und gab es erst wieder frei, als er wollte. Im Nachhinein muss ich mich wundern, dass es nach diesem Konzert keine randalierenden Horden gab. Aufgeputscht genug und bereit dafür waren wir "Ich muss auf den Gipfel! Ich muss in das Meer! Ich halt's nicht mehr aus, auf dem flachen Land!"

Zwei, drei Wochen später hörte ich, FREYGANG seien verboten worden.

Glücklicherweise hatten Freunde eine damals im Undergrund kursierende Tonbandkassette mit FREYGANG-Songs in ziemlich passabler Qualität. Diese war für die nächsten 2 Jahre mein Soundtrack zu den immer ätzender werdenden Bedingungen im Arbeiter und Bauern Staat.

Wende/Wegzug/Wohlergehen ...Wiederkommen

Mit unserer Rückkehr in den Osten flammten auch alte Liebschaften wieder auf. Und so sah ich die Band ab '94 in größeren Abständen immer dann, wenn sie hier im Süden unterwegs waren. Mit wechselnden Besetzungen, aber immer mit Andrè GP am Steuerrad. Mal mehr, mal weniger gut. Aber auf seine Art immer faszinierend. Große Klappe und doch verletzlich, irgendwie...

Vor ein paar Jahren ist uns're kleine Combo dann mal von einem Veranstalter angefragt worden, für ein FREYGANG-Konzert im Chemnitzer Bunker zu eröffnen. Da hatte ich neben großer Freude auch ziemliches Muffensausen. Manchen Idolen möchte ich lieber nicht zu nahe kommen. Es ergab sich nicht. Schade, oder, vielleicht besser so. Die Band war unter sich und einzig Egon Kenner, den André GP 20 Jahre früher in Dresden ungefähr so vorgestellt hatte: "...das ist Egon, der spielt jetzt mal 'n bisschen Gitarre. Leider kann er nicht immer dabei sein, weil er ist Lehrer...". Also, einzig Egon brachte der Vorband ein wenig Whisky vorbei. Was mir leider auf dem gemeinsamen Foto die Augen aus dem Ruder laufen lies...

Das letzte Konzert, welches ich von FREYGANG sah, war ihr Auftritt diesen Sommer zum SunFlowerFestival in Freiberg. Ihretwegen war ich zum ersten Mal als zahlender Gast dort und war offen gestanden enttäuscht. Weil Egon nicht dabei war und weil die anderen merkwürdig kraftlos wirkten. Vielleicht fühlte sich die Band aber auch nur deplaziert zwischen all den Blumenkindern.

Was für mich aber letztlich bleiben wird, ist nicht ein mittelmäßiger Auftritt zum Schluss, sondern ist ein Künstler, der begnadet war mit einer Bluesrockröhre, die ihresgleichen sucht. Der es verstanden hat, mit ganz wenigen, ihm eigenen Mitteln eine Athmosphäre zu schaffen, dass Du glaubst, es brennt die Luft. Und der Texte geschrieben hat, die einfacher hätten nicht sein können, und die doch eigentlich alles ausgesagt haben.

Dein Grab ist eine Wiese
Und Dein Kind ist eine Blume
Deine Arbeit ist ein Spiel
Und Dein Plan, der hat kein Ziel
Du bist frei wie Skysegeljack

André GP (1952-2008)

2 Kommentare:

miner hat gesagt…

Einen sehr treffenden Nachruf aus Journalistenfeder findest Du hier:
http://www.jungewelt.de/2008/12-17/015.php

tini_t hat gesagt…

fein geschrieben, danke.
86 in der garde war ich auch dabei. bernd kleinow hat mundi gespielt, glaube ich?
nie wieder rock'n roll mit andré greiner-pol trifft mich. sehr. hab freygang in den letzten 23 jahren intensiv gesehen, die waren mein motor...
wenn du bock hast schau mal rein auf www.myspace.com/tinit_dd (demnächst gibt es auf dieser platform einen neuen blog von mir).
bye & alles gute, tina aus der landeshauptstadt