Mittwoch, 4. Juli 2012

Hochamt in der Abendsonne - Bob Dylan in Dresden, 03. Juli 2012, Junge Garde

 
Ob er nun gelacht hat (wie Journalisten in Berlin ausgemacht haben wollen) oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Selbst in diesem Punkt bleibt er schwer zu durchschauen. Ich denke, ein Zucken, ein Manierismus, mehr nicht, Ausdruck der Konzentriertheit zwischen den vielen Verszeilen und Akkorden. Aber das Auditorium lechzt nach jeder Besonderheit, die das selbst erlebte Konzert zu einem besonderen machen, in dieser endlosen Reihe der niemals endenden Tournee durch Raum und Zeit. Ein Novum gab es in Dresden indes schon: Der aktuelle Opener Leopard Skin Pill Box Hat ging, irgendwie, kaum dass man es merkte, über in Watching the river flow. Ob nun gewollt oder aus Versehen, darüber lässt sich trefflich spekulieren. Dass dies geplant war, glaube ich eher nicht. Dazu war mir die Backingband zu sehr in Habacht-Stellung, verfolgte wachsam jede Regung ihres Leaders, um auf Änderungen prompt reagieren zu können. Is it rolling Bob? Nur diesmal geht die Frage an den Interpreten selbst.

Ja, es rollt wie geschmiert. Gerade haben wir nach einer halben Stunde Wartezeit den Kontrollpunkt zum DDR-Amphitheater „Junge Garde“ passiert, da wird auf der Bühne auch schon eingezählt. Mit dem oben erwähnten Eröffnungsstück präsentiert sich der Meister halbrechts am Keyboard stehend und in guter stimmlicher Verfassung. Neu am diesjährigen Bühnenbild ist ein Flügel, der hauptsächlich in der zweiten Hälfte zum Einsatz kam. Schon mit dem zweiten Stück Under the red sky gibt es weniger häufig Gehörtes. Der Dresdener Himmel konnte nicht gemeint sein, es war erst 8 Uhr abends. Warum dieser Song und kein anderer? Das wären Fragen, die mich wirklich interessiert hätten. Es hat den Anschein, dass auch die Mitmusiker just in time erfahren, was als nächstes auf der Agenda steht. Nach jedem Titel verlässt Dylan seinen Platz, zupft sich zuweilen am Nackenhaar, wandert in den Backround, um den Seinen kurze Anweisungen zu erteilen. Interessant, die einzelnen Rollen zu beobachten: Tony Garnier, seit den frühen Neunzigern also seit rund 20 Jahren Dylans Bassplayer, immer im Hintergrund, aber routiniert und abgeklärt. Donnie Herron und Charlie Sexton hingegen ganz die Schüler, beim Spielen immer die Augen auf die Hände des Lehrers gerichtet. Und Senor Recile? Der blinzelt verschlagen hinter seiner Schießbude hervor wie ein mexikanischer Pferdedieb. Und lacht wissend, als Dylan bei Blind Willy Mc Tell die leicht abgewandelte Zeile „…and whiskey is hell…“ in seine Richtung bellt. Die Worte scharf wie eine Klinge, blitzschnell aus dem Stiefelschaft gezogen. Dylans Solos auf der Harp sind übrigens ebenso präzise. Das war mir früher gar nicht so aufgefallen. Vielleicht war aber auch nur der Sound besonders gut gestern. Bevor das Konzert mit drei Standards seinem Höhepunkt zustrebt, freuen wir uns noch über solche Preziosen wie John Brown und Visions of Johanna (hat man ihm vielleicht gesteckt, dass 4 Wochen früher am selben Ort Joan Baez seinen Gesang nachgeahmt hatte?). Meine Top-Favoriten waren gestern folgende: Things Have Changed, Blind Willie Mc Tell und Ballad Of A Thin Man. Letzteres mit einem schönen Delay auf der Stimme, welches die Botschaft zerschossen und zerfetzt ins Nirvana schickte; "Am I here all alone?" Natürlich nicht. Mehrere Tausend Jünger hingen an Dylans Lippen und freuten sich sehr, als er Ihnen gab, wonach sie vor einem Dreivierteljahr in Leipzig vergeblich verlangten: eine Zugabe. Blowing in the wind, seit 1961 über 1.000 x live vorgetragen, diesmal als country waltz, versöhnlich und endgültig. Kein Dank, kein Gruß, nicht nötig, denn wir kennen uns. Und wünschen uns und ihm noch viele solcher Auftritte.



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