Dass ich im vergangenen Jahr eine Runde aussetzen musste, hatte meine Vorfreude aufs diesjährige Festival ziemlich gesteigert. Die letzten schulpflichtigen Kinder unserer kleinen Runde hatten eine Freistellung für einen Familienkurzurlaub in der Tasche und so konnten wir erstmalig voller Erwartungen schon am Donnerstagnachmittag Richtung Nordwesten starten. Zum 16. Orange Blossom Special Festival in Beverungen, unserem neunten bzw. zehnten.
Zu unserem Erstaunen war die Zeltwiese am Weserstrande schon ordentlich gefüllt. Ich möchte gerne mal wissen, wann denn so die ersten Zelter hier aufkreuzen, damit ich auch mal unter den Ersten sein kann. Aber auch egal, es ist ja immer genügend Platz für die rund 2.000 Besucher vorhanden. Schön, dass man dieses Jahr die Dixis entlang der Zeltmeile auf drei Standorte verteilt hatte, das versprach Entspannung. Aufgebaut war schnell und wir hatten einen wunderschönen Sonnenuntergang und erfreuten uns noch lange am klaren Sternhimmel bei ein paar Flaschen Feldschlösschen bzw. Erdinger Alkoholfrei. Den Freitagvormittag ließen wir ruhig angehen, bummelten durch die Stadt, besorgten einen Grill und was zum Drauflegen. Inzwischen hatte sich auch die Wiese zusehens gefüllt und schließlich reihten wir uns gut gestärkt und bestens gelaunt in die lange Reihe vorm Einlass ein.
Als Intro/Outro spielt man im Glitterhausgarten seit einiger Zeit eine Passage aus „Absolute Giganten“ ein: „…es müsste immer Musik da sein…“ . Ich habe das nun am letzten Wochenende 5x gehört und jedes einzelne Mal Schluckbeschwerden gekriegt. Dabei kenne ich den Film gar nicht, doch diese Worte sind so zutreffend und dann hat man noch den melancholischen Blick Gierings im Gedächtnis…uff…
Den Auftakt gaben ALAMO RACE TRACK aus den Niederlanden. Es war OK. Die erste Band muss nicht schon ein Knaller sein, viele Leute wollen erst einmal Festivalatmosphäre aufsaugen, mich eingeschlossen. Die Musik war ein bisschen wie „Toy Horses“, die wir lieben, doch hier fehlte mir das gewisse Etwas.
CHRISTIAN KJELLVANDER aus Schweden bediente anschließend das klassische Klientel, welches schon seit mehr als 10 Jahren zum OBS kommt. Gute Songs, gute Ausstrahlung, drei von fünf Punkten würde ich sagen.
Bei Superlativen aus dem Munde von Labelbossen bin ich in der Regel auf der Hut. Für mich meist ein Indikator, die Erwartungen etwas herunter zu schrauben. Aber als Reinhard mit euphorischen Worten die MOON INVADERS aus Belgien ankündigte, hatte ich kurz vorher schon einem Teil der Band beim Einspielen zweier Songs für den WDR Rockpalast zusehen können und wusste, hier kommt wirklich was Tolles. Und das hielt an über die gesamte Spielzeit! Alles wippte, alles lächelte, das Leben kann so schön sein!
Danach eine der drei Bands, auf die ich mich im Vorfeld gefreut hatte: THE MISERABLE RICH (UK). Im Frühjahr erst in Dresden gesehen, erfreuten sie uns wieder mit ihrem unvergleichlichen Gebräu aus Klassik, Folk, Rotwein und Schnaps sowie lustigen Ansagen auf Deutsch: „Vielenvielenvielen Dank Mausi!“ Die Band freute sich sehr über die große Resonanz und gab als vorletzte Zugabe eine mitreissende Version von Donna Summers „I Feel Love“. Ich möchte sogar meinen, musikalisch packender als das Original und auch stimmlich on Top. Und ich hatte nichts getrunken…
Der Samstagmorgen empfing uns mit Sonne und strahlend blauem Himmel. ROCCO RECYCLE, eine Art Eiserner Holzfäller mit Gitarre, glitzerte und blendete in seinem Outfit, dass es schwierig war, brauchbare Fotos zu schießen. Ich hatte ihn letztes Jahr auf der kleinen Bühne nicht gesehen, hatte aber das Gefühl, dass diese hier etwas zu groß für ihn war. Doch knackig war sein Set allemal. Ich liebe 1-Mann-Kapellen!
Die folgenden zwei Acts ließ ich aus, um anschließend ausgeruht auf die FUZZTONES konzentrieren zu können. Von dieser Band gibt es die drittbesten Bandshirts ever, nach DEAD MOON und den LOMBEGO SURFERS. Aber danach hört für mich der Vergleich auch schon auf. Nachdem ich sie nun mal live gesehen habe. Ondulierte tiefschwarze Mähnen - mich würde es nicht wundern, wenn es sich dabei um Toupets gehandelt hat. Nichts gegen Imagepflege, aber Legendenstatus bemisst sich für mich nach anderen Kriterien. Ich sah die Band mit ihren ersten fünf Songs und die waren Durchschnitt. Schade. Später hörte ich Rudi Podrudi zu einem Fan, der sich eine Fuzztones-CD signieren ließ, sagen: „Diese Unterschrift erhöht den Wert Deiner CD extrem!“ Aha…
Die nachfolgenden Acts ISRAEL NASH GRIPKA (USA) und NAVEL (CH) rockten den faden Beigeschmack, den die Fuzztones bei mir hinterlassen hatten, locker wieder weg, countryesk der eine, noisig der andere. NAVEL waren als Ersatz eingesprungen und erfreuten uns mit ihren frischen, gut strukturierten Songs. Und die Jungs hatten ein paar 7“ Vinyls im Gepäck, diese Haltung mussten wir durch Kauf unterstützen.
Was von der Insel kommt, kann man meistens gut hören und sehen. ERLAND & THE CARNIVAL waren kurzweilig, mir auf der Bühne manchmal etwas zu hippelig und schrill. Mal sehen, wie das im Studio konzeptioniert gewesen ist. Schweres Vinyl, Klappcover, vintage Layout, schönschön…
Die letzte Band des Tages ist auf dem OBS fast immer eine ruhige und das ist auch gut so. Wenn man allerdings den ganzen Tag über schon intensiv Musik konsumiert hat, fällt es manchmal schwer, sich noch zu konzentrieren. Die Gedanken laufen einem weg und man hat Mühe, sich im Nachhinein daran zu erinnern, was man gehört hat, auch ohne Alkoholkonsum. Bei IMMANU EL aus Schweden gab es damit allerdings keine Probleme. Natürlich wurde die Wirkung der Songs durch die wunderschönen Filmsequenzen vom Nordmeer sehr verstärkt. Aber mir ist auch die Klarheit und Erhabenheit, die die Songs ausstrahlten, heute noch sehr präsent. Das waren keine endlos dahin mäandernden Melodien, sondern gut gegliederte Strukturen und vor allem professionell auf den Punkt gespielt. Ich freue mich schon sehr auf die inzwischen bestellte LP „Passage“.
Damit war auch der zweite offizielle Tag des Festivals Geschichte und das Glas zu zwei Dritteln leer. Erwähnenswert noch der coole HORST WITH NO NAME, der als zweite 1-Mann-Combo heuer die kleine Bühne bespielte. Musikalisch ausgefuchst und sehr unterhaltsam.
Den letzten Festivaltag eröffnete CHRIS ECKMAN mit den FRICTIONS, „seinen persönlichen Crazy Horse“ und so lärmten sie denn auch eine gute Stunde, im positiven Sinne. Da er fast immer in irgendeiner Inkarnation auf dem OBS auftaucht, habe ich ihn inzwischen so oft auf der Bühne gesehen wie sonst nur Bob Dylan und Fred Cole. Und finde ihn mittlerweile gar nicht mehr so schlecht.
CLICKCLICKDECKER waren die dritte Band, auf die ich mich gefreut hatte und sie wurden den Erwartungen mehr als gerecht. Sympathisch zurückhaltend, freundlich, lyrische Texte und zu Herzen gehender Vortrag erzeugten sie genau die richtige Stimmung für einen sonnigen Sonntagmorgen. Wieso machen die da oben in Hamburg eigentlich so gute Musik?
NIVE NIELSEN und ihre Hirschkinder aus Grönland waren der diesjährige most exotic act. Hübsch anzusehen und –zuhören. Next first aid kid? Es wäre mal interessant, ob es auf der Glitterhouse-Veröffentlichung noch mehr Nuancen zu entdecken gibt. Die Musik erreichte mich jedenfalls nur knapp unter der Haut.
THE TRAVELLING BAND (UK) hatten uns ebenfalls schöne Lieder mitgebracht, von denen man das Gefühl hatte, die Hälfte schon einmal irgendwo gehört zu haben. Überdies wirkten sie etwas angeschlagen, begründeten dies mit der langen Fahrt, extra für diesen Auftritt. Doch darüber sollten sie sich bei diesem Bandnamen nicht beschweren.
THE FOG JOGGERS aus Krefeld waren im Vorfeld mit vielen Vorschusslorbeeren bedacht worden. Der Druck war dem Sänger etwas anzumerken, doch insgesamt lieferten sie eine reife Leistung ab. Wenn man denn Rock a la Bryan Adams mag.
Mit den folgenden ORPH (D) konnte ich persönlich leider gar nichts anfangen und auch an THE FLYING EYES (US) schieden sich die Geister. Die Prädikate, die dieser Band aufgedrückt worden waren, fand ich zwar nicht so treffend (man wollte die Gäste offenbar nicht verschrecken), die Mugge hingegen gefiel mir gut. Bis auf das Gebaren des Frontmannes, doch so sind sie nun manchmal. Etwas Stoner, etwas Doom; hätte ich auf dem OBS nicht erwartet, war aber eine gelungene Abwechslung.
Die letzte Band des Festivals SPAIN (US) wurde wieder sehr groß angekündigt, also Obacht! Wenn der Bandleader den Familiennamen Haden trägt und zudem Bass spielt, da darf man eigentlich auch gespannt sein. Was immer Reinhard und Rembert für Erinnerungen an die frühen Tage dieser Band haben mögen, in den Liedern, die ich hörte, konnte ich nichts Großartiges entdecken. Relativ simpel gestrickte Songs, viele Wiederholungen und ein Wechselbass, wie ich ihn nur von Dorfkapellen kenne, sorry. Regelrecht erschrocken war ich aber über die Ansagen Josh Hadens, die in Ausdruck und Inhalt im krassen Gegensatz zu seinen Songs standen. Keine Ahnung, was das sollte. Aber so ein Festival ist ja eine zwanglose Sache und so ließen wir den letzten Abend am Weserstrand ausklingen. Auch schön.
Insgesamt bleibt eine schöne Erinnerung, an drei sonnige Tage in perfekter Umgebung, mit netten Menschen und sehr hochwertigem Musikprogramm, guter und preiswerter Verpflegung, genügend Alternativen, auch für Vegetarier. Danke dafür! Wir kommen wieder.