Freitag, 19. Januar 2007

Das glaubt mir sowieso keiner

C.D. ist ein freischaffender, ostdeutscher Autor, den ich irgendwann in den achtziger Jahre für mich entdeckt habe und der mich seither begleitet hat. In Zeitungsreportagen und Büchern. Ich mag ihn sehr, weil er die Gabe hat, Geschichte lebendig werden zu lassen. Ich finde mich darin wieder, unmittelbar oder in den Assoziationen, die beim Lesen geweckt werden. Wäre ich selbst Schriftsteller, dann würd’ ich meine Erlebnisse und Gefühle gerne für mich auf diese Art konservieren, aber so bin ich froh, dass es ihn gibt.
Den Wunsch, dem Autor die Bewunderung des Lesers mitzuteilen, trage ich schon eine Weile mit mir herum. Allerdings will man sich ja nicht blamieren und so fehlte mir immer noch das letzte Quentchen Mut, den Brief zu schreiben. Auslöser war letztendlich das Wiederlesen eines seiner Bücher im Herbst letzten Jahres. Die Episode mündete in dem Satz „Fremdes Tempo geleitet an kein eigenes Ziel“ und das hatte ich auch schon oft so erlebt, allerdings ohne das in treffende Worte packen zu können. Manchmal braucht das Leben Leitsätze. Jedenfalls war damit der Anfang des Briefes geschrieben. Es sollte aber auch Musik eine Rolle spielen, deren enthusiastische Schilderung ich an C.D.’s Werk anfangs besonders schätzte. Da gab es im selben Buch eine Passage, in der C.D. – für meine Begriffe resigniert und lakonisch – den Niedergang der Rockmusik beschrieb. Es ging um Klaus Renft. Das tat mir leid. Nicht um Renft willen, sondern wegen der Müdigkeit oder Traurigkeit C.D.’s, die ich herauszulesen glaubt. Das war am 8. Oktober 2006.
Ich schrieb also den Brief zu Ende und empfahl C.D. den Besuch eines DEAD-MOON-Konzerts, die gerade auch durch Deutschland tourten. Dort würde er erfahren, dass Rock nicht tot ist. Oder so ähnlich jedenfalls. Fertig geschrieben und versendet.
Am 9. Oktober, einen Tag, nachdem ich DEAD MOON in Dresden sah, hörte ich, dass Klaus Renft gestorben war. Ich hätte den Brief gerne etwas umgeschrieben, doch er war längst unterwegs nach Berlin.
Das Wochenende darauf war ich selber in Berlin. RYAN ADAMS gastierte im Kesselhaus. Meinen Brief, Klaus Renft und auch DEAD MOON hatte ich in Erwartung des kommenden Konzertes völlig vergessen, als sich die Menge vor mir teilte und C.D. zielsicher auf mich zusteuerte. Mein Herz begann zu klopfen und die Gedanken kreiselten. Sein Gesicht kenne ich natürlich aus Lesungen und von Bildern, aber ich bin ihm völlig unbekannt. Ich konnte mir einfach keinen Reim drauf machen! Als er kurz vor mir angekommen war, ging ich vorsichtshalber einen Schritt zur Seite. Da bedankte er sich höflich und ging nach hinten weiter, um sich ein Bier zu holen. Ich hab’ ihn dann noch eine Weile stehen sehen und konnte mich gar nicht richtig auf das Konzert konzentrieren (der Enthusiasmus C.’s hielt sich in Grenzen).
Warum ich das heute schreibe? Weil ein Brief aus Berlin gekommen ist, von C.D. Ein ziemlich ausführlicher. Ich habe mich sehr gefreut, doch manches, was er schrieb, machte mich traurig. Bei Renft haben wir uns beide missverstanden, glaube ich. Da kam auch noch der Tod dazwischen, der Reflexion verändert. Und DEAD MOON war C.D. leider kein Begriff. Das fand ich besonders schade, weil es die Möglichkeit des "richtigen" Kennenlernens inzwischen auch nicht mehr gibt.
Das Leben ist so voller Zufälle, manche sind einfach nur irrwitzig, andere führen zu Missverständnissen, und wieder andere lenken unser Leben in Richtungen, die wir so nicht beabsichtigt hatten. Am Ende wird alles gut, da bin ich mir sicher.